"Satan, kannst du mir nochmal verzeihen ..." von Anne Hahn und Frank Willmann




Unbestritten war die Band SchleimKeim eine der in Ost und West populärsten Ikonen des DDR-Punks.

Gegründet Anfang der 80er in der Nähe von Erfurt produzierte sie Skandale am laufenden Band, die wie alles, was die Band tat, von Dieter Ehrlich, genannt "Otze", ausgingen.


"Satan kannst du mir noch mal verzeihen ..." war einer der wenigen Post-DDR-Songs der Band von dem Album "Abfallprodukte der Gesellschaft", dem das Buch auch seinen Namen verdankt.



Das Buch besteht hauptsächlich aus Interviews und Zeitzeugenerinnerungen von Bandmitgliedern, Jungpfarrern aus Erfurt, Weimar und Jena und Kumpanen Ehrlichs. Doch das Buch liefert keine reine Fallstudie des mittlerweile legendären Bandleaders, sondern vor allem auch ein eindrucksvolles Potrait der Punkszene in der DDR. Seien es die ständigen Konflikte mit Stasi und Gesellschaft und den Einfluss der evangelischen Gemeinden in dieser Beziehung. Wurden viele der Punkrockkonzerte in Kirchen und Jugendclubs der Protestanten abgehalten. Auch wenn man sich heute kaum noch vorstellen mag wie Punks in Kirchen zechten, Altare demolierten und die Pastoren mit den hiesigen Alkoholleichen umsprangen. 20 Jahre nach dem Fall der Mauer wären derartige Konzerte in Kirchenmauern niemals mehr vorstellbar. Doch in der Abneigung gegenüber dem SED-Regime waren sich Gottlose und Gottesmänner dann doch verbunden, auch wenn SchleimKeim in so manchem Gotteshaus schlussendlich hausverbot bekam, da ihre Konzerte konsequent in Orgien und Schlägereien ausarteten - so das es wohl auch so manchem liberalem Priester zu viel wurde.


Die Lebensgeschichte Otze Ehrlichs und die der Band SchleimKeim sind untrennbar miteinander verbunden, denn Otze WAR SchleimKeim, wie sich nach seinem Tod Ende der 90er herausstellen sollte. Dennoch sein Leben und Sterben waren so abenteuerlich und durchtrieben, dass so mancher Romanautor vor Neid erblasst wäre.

Aufgewachsen in bäuerlichen Verhältnissen im Dorf Stotternheim, nahe Erfurt. Die Familie hatte sich geweigert in die LBG einzutreten, weshalb die Familie bei Nachbarn und MfS von Anfang an verdächtig aussah. Der Sohn fiel bereits in der Schule durch Gehorsamsverweigerung auf, brach die Schule und Lehre ab, wurde Punk. Lebte den No-Future-Mythos. Galt als Gewälttätig. Zog Wochenlang umher, kam schließlich jedoch immer zur Mutter zurück. Lebte zeitweilig in Erfurt, Weimar und Ostberlin. In der Hauptstadt begann dann sein langsamer Abstieg durch Partydrogen. Dort produzierte er die Platte "DDR von Unten" für die er fast 4 Jahre im Stasiknast zubrachte. Schließlich wurde Ehrlich immer unberechenbarer. Glaubte an Satan. Landete mehrmahls im Knast. Besorgte sich Geld über Tätigkeiten als IM. Nach der Wende starb seine Mutter. Er landete mehrmals in der Psychiartrie. Und erschlug schließlich seinen Vater mit einer Axt, nachdem dieser ihn für Unzurechnungsfähig erklären lies. Wenig später starb Dieter Ehrlich alias Otze im Gefängnis.

Das umrahmt das Buch zusätzlich noch mit nach der Wende freigegebenen Berichten des MfS - inklusive, behördlicher Schreibfehler.


Bei all dem, lohnt sich das Buch?


"Satan kannst du mir noch mal verzeihen ..." ist vor allem geeignet für Leute, die in das Thema Punk in der DDR, sowie SchleimKeim-Bandgeschichte einsteigen wollen. Für den gestandenen SchleimKeim-Fan hingegen bietet das Buch wenig Neues. Wer also auf überragende Neuentdeckungen im Leben und Schaffen Dieter Ehrlichs hofft, der hofft vergebens.


Gut geschriebenes Zeitdokument einer im Ostalgismus fast vergessenen Ära.


8/10 Pastoren am Rande des Nervenzusammenbruchs