J.K. Rowling und der Calvinismus



Im Alter von 13 Jahren bekam ich den ersten Band von "Harry Potter" in die Hände. Bis dahin hatte ich es im vermieden Bücher zu lesen, wie viele meiner Generation. Das war irgendwie langweilig. Zumindest in der Schule. Und was in der Schule schon öde war wollte man sich Zuhause schließlich nicht auch noch antun. 

J.K. Rowling schaffte woran sich Generationen von Deutschlehrern die Zähne ausgebissen hatten. Sie brachte eine Generation, aufgewachsen mit Fernsehen und Computerspielen, zurück zum Buch. Die Medien liebten sie. Die Deutschlehrer hassten sie. Und wir Jungsprunde verloren uns in dieser Geschichte um Hass, Rassismus und den ganz normalen Schulwahnsinn.

Jahre verbrachte ich in Internetforen, um die verschiedensten Theorien um die Bücher zu beschreiben und was uns die Autorin wohl damit sagen wolle, wo noch Geheimnisse versteckt waren und die wichtigste Frage: Was würde aus dem geheimen Liebling aller Fans: Severus Snape.

Die Antwort kam 2007 mit "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes". Für viele Fans - mich inbegriffen - war es ein Schock, was Rowling in diesem Finale veranstaltete. Nicht nur, dass sie völlig kaltblütig fast den gesamten Cast der Reihe nicht nur physisch umbrachte, sie schlachtete ihre Figuren emotional regelrecht. 

Warum dies in den Augen Rowlings aber so absolut logisch erscheint - weshalb sie es bis heute in vielen Interbviews nicht müde wird sich zu rechtfertigen - und in den Augen vieler Fans als Ermordung eines ganzen Franchises, erschließt sich erst, wenn man sich näher mit J.K. Rowling als Person beschäftigt. 

Rowling selbst hat sich immer als gläubige Calvinistin hingestellt, einer besonders in Großbritannien florierenden Art des fundamentalistischen Christentums. Auch hat Rowling nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie großzügige Spenden an die Labour-Partei tätigt und sich in der "Gesellschaft zur Erhaltung der imperialen Maßeinheit" einsetzt. Mit anderen Worten: Sie ist das, was man als konservativen Traditionalisten beschreiben könnte, der vor allem möchte, dass Englang England bleibt und daher Churchill verehrt und Maggie Thatcher als Kind der 70er ablehnt.
 
Was ist Calvinismus?

Der Calvinismus ist ein Strang des Christentums, der an die Vorherbestimmung des Schicksals durch Gott glaubt. Mit anderen Worten: Niemand kann auf sein eigenes Leben Einfluss nehmen, denn die Fäden des Lebens wurden vor langer Zeit vorherbestimmt.

In Großbritannien gehörte der Calvinismus quasi zum Kulturgut vieler großer Denker. Der Begründer des modernen Wirtschaftsliberalismus, Adam Smith, verbreitete im klassischen, calvinistischen Sinn, die Idee, dass wer bei seiner Arbeit keinen Erfolg hat, die vor allem seinem ohnehin schlechten Schicksal zu verdanken habe. Die Armen sind arm und die Reichen sind reich, weil Gott das so bestimmt hat, nicht weil gesellschaftliche Zusammenhänge dazu führen. Demzufolge kann auch niemand eine Republik ausrufen, denn der König wurde ja von Gott eingesetzt. Das erklärt auch warum Großbritannien eine konstitutionelle Mornachie hat. Ohne König geht das Land unter. Da ist man sich selbst und englischen Sozialdemokraten relativ einig. 

All das findet sich auf die eine oder andere Weise auch in den Harry Potter Büchern wieder.

So kann man Harry und Dumbledore etwa ziemlich eindeutig als direkte Sprachrohre Rowlings ausmachen. Gerade das Verhältnis zwischen diesen beiden Figuren ist, gelinde gesagt, problematisch. Harry wird von Dumbledore systematisch dazu erzogen nichts zu hinterfragen und Dumbledore als fast schon gottgleichen Übervater anzusehen, der keinerlei Fehler macht. Dass sie dann ausgerechnet Dumbledore in Band 7 so dermaßen demontiert kann als bewusster Stilbruch angesehen werden, dennoch bleibt Dumbledore bis zuletzt, selbst über seinen eigenen Tod hinaus, derjenige, der alle Fäden in der Hand hat. Im Serienfinale offenbart sich sogar mit unglaublicher Grausamkeit wie Dumbledore ganze Schülergnerationen in Hogwarts an sich gebunden hat, sie erpresste und psychologisch ausnutzte wo es nur ging, um seine Ziele zu erreichen. Harry ist nur ein Opfer von vielen, so scheint es. 

Da offenbart der greise Übervater einen Größenwahn, der dem eines Lord Voldemort in nichts nachsteht. Tatsächlich versucht Dumbledore den jungen Tom Riddle ebenfalls massiv zu manipulieren, was jedoch gnadenlos nach hinten los geht und so auch Dumbledore eine Mitschuld an diesem fürchterlichen Schlächter trägt. 

Besonders hart trifft es im Finale jedoch Severus Snape. Von den Fans als Antiheld mit ganz und gar finsterem Sarkasmus geliebt, der aufgrund seines gewalttätigen Lebens mehr als nur eine Schraube locker hat. Rowling richtete den Düsterling regelrecht hin indem sie ihm zum asexuellen Sonderling degradierte. Aber auch andere, vormals gut geschriebene Figuren wie Lupin erwischte sie hart mit der Kitchkeule und hat sie so schon lange vor dem finalen Kampf umgebracht. 

Manch einer vermutet da Rache an den Fans, die den erwachsenen Nebenfiguren immer mehr Aufmerksamkeit schenkten als den vielen Teenagercharakteren, die bis auf ein paar Ausnahmen wie Neville oder Luna, komplett gegen die Wand gefahren wurden. 

Wenn man Rowlings Winken mit dem Zaunspfahl in den Büchern ab Band 5 ("Orden des Phönix") glaubt, dann ist das ganz klassisches Schicksal, denn Harry erfährt dort von der Prophezeiung und muss sein Schicksal erfüllen. Dumm nur, dass er von Dumbledore (also Rowling) immer unten gehalten wurde. Sprich; Harry hat zu diesem Zeitpunkt keinerlei Ahnung wie das mit dem Welt retten funktionieren soll. Zumal er obendrein noch als hochemotionaler Trottel konzipiert ist, der ständig in all zu offensichtliche Fallen hneintappt. Oft genug aufgrund zurückgehaltener Informationen, die oft nur deshalb zurückgehalten werden, um den traditionellen, ultimativen Twist am Ende möglich zu machen. Damit stellte sich Rowling selbst das Bein. Das Ergebnis ist ein unzufriedenes Finale mit unzufriedenstellenden Antworten und Charakteren, die sich im Notfall alle auf ihr unnachgiebiges Schicksal berufen können.

Die härteste Erkenntniss an "Harry Potter" ist vielleicht, dass der ultimative Masterplan Rowlings am Ende gar nicht funktionierte, geschweige denn je existierte. Viele FAns fühlten sich hinterher von ihrer Autorin betrogen. 

Aber ist nicht das auch der Kern calvinistischer Ideen? Ein einziger Betrug, der darauf hinausläuft Menschen zu manipulieren? 

Was ist also die eigentliche Lehre aus der Romanreihe? Dass Calvinismus zum Scheitern verurteilt ist? 

Leider scheint das Rowling nicht so zu sehen. Sie selbst brüstete sich in zahlreichen Interviews immer wieder damit wie toll ihre Helden doch ihr Schicksal erfüllt haben. Ganz calvinistisch halt. 

Natürlich kommt es als milliardenschwere Autorin nicht gut sich von seinem eigenen Kram zu distanzieren. Somit wird man wohl auch nie wirklich erfahren wie calvinistisch Rowling es wirklich gemeint hat, oder ob ein Großteil nur PR-Gedöns war. Das ändert jedoch nichts daran, dass Band 7 fulminant gescheitert ist und gerade viele ältere Fans ihn knallhart ignorieren. Harry Potter hat sein Schicksal also nicht erfüllt. Er hat uns Jahrelang nur an der Nase herumgeführt.