Die kommenden Tage



Zugegeben, normalerweise kann ich mit deutschen Filmen absolut nix anfangen und mache fast schon reflexartig einen großen Bogen um sie. Als ich im Kino letztes Jahr dann mit dem trailer zu "Die kommenden Tage" überrascht wurde war ich zunächst doch irritiert und habe begonnen meine Vorurteile über die deutschen "Emo-Opfer-Filme" etwas aufzuweischen. (Warum ich sie so nenne, weil das deutsche Kino erfahrungsgemäß nur * Sarkasmus on* leidende Juden, böse Nazischergen und noch viel böserer Stasioffiziere kennt, die alle - dem deutschen Opfermythos entsprechend - den ach so armen deutschen Biederbürger permanent zum Bösen verführen ... har har har ... *Sarkasmus off*)


"Die kommenden Tage" ist ein Film wie ich ihn für deutsche Verhältnisse eigentlich immer für unmöglich hielt. Ein Film der vom größtmöglichen, anzunehmenden Gesellschaftsgau in Europa während der Wirtschaftskrise ausgeht: In der nahen Zukuft wird Europa von einer Welle schwarzafrikanischer Flüchtlinge überschwemmt. In Italien und Spanien ist das komplette Gesellschaftsystem zusammengebrochen und die paramilitärische Truppe um die FRONTEX erklärt alles südlich der Alpen zum Sperrgebiet. Europa im Fegefeuer des zusammenbrechenden Kapitalismus. Soweit der Storyaufhänger, der im Grunde aber nur düsteres Beiwerk ist, denn im Film geht es weniger um die politischen Extremzustände als darum was sie aus einer Clique von Studenten macht. Während sich dich die Gruppe um Konstantin (August Diehl) einer terrorgruppe anschließt, um das "Schweinesystem", dass für Öl und Wohlstand tötet endgültig im zusammenbrechenden Kapitalismus den Gnadenstoß zu verpassen will sich die gutbürgerliche Laura (Bernadette Herrwagen) nur verlieben und ihre Promotion machen. Der Film zeichnet dabei die Lebenswege beider Akteure über Jahre hinweg nach. erst zum Finale hin finden wir uns schließlich in der oben beschriebenen Sperrzone in Südtirol wieder, wo es zwischen Wissen, Gewissen, Hass und (Nächsten)Liebe zum finalen Showdown kommt.

"Die kommenden Tage" ist ein sehr ruhiger Film, der vorrangig darüber sinniert, was Politik mit uns anstellt und warum es nicht möglich ist sich ihr zu verwehren, denn irgendwann dringt sie in unseren Mikrokosmos Privatsphäre unweigerlich ein und zerstört alles was wir lieben und woran wir glauben. Dabei bleibt der Film jedoch anders als etwa Alfonso Cuaróns Endzeitdrama "Children of Men" immer Hoffnungsvoll. Der Film will uns ermahnen, jedoch ganz undeutsch mit abgehacktem Zeigefinger, etwas zutun bevor die menschliche, humanitäre Gesellschaftsordnung endgültig zerfällt und wir wieder zu Tieren werden, die sich um jede Hundefutterdose streiten.

Sicher ist "Die kommenden Tage" zweifellos ein streitbarer Film, der auch ganz bewusst darauf ausgelegt ist Gemüter zu erhitzen und Diskussionen anzuregen.

Inszenatorisch macht der Film alles richtig. Die Optik ist erstklassisch, jedoch viel weniger US-imitiert und sensationsheichend als in manch anderer Produktion. (Stichwort: Bernd Eichinger) Die hochkarätigen Darsteller machen ihren Job klasse und man sieht ihnen, dass auch ihnen dieser Film sehr am Herzen lag. Gerade August Diehl in seiner Rolle vom Student zum Terroristen bringt die innere Verzweiflung, die ihn antreibt doch sehr gut rüber. Der einzige, der nicht so recht passen möchte ist Jürgen Vogel in seiner Minirolle als BND-Verfassungsschützer, weil er dort wieder seine ultracoole Pokerface-Mimik aufgelegt hat. In anbetracht des Films vielleicht doch etwas unangemessen oder doch nur wieder typisch Jürgen Vogel?
Die Musik ist ruhig, unaufdringlich und passt sehr gut zum Kontext des Films. Einziger wermutstropfen ist für mich das Ende des Films, dass, wie sich später auf der DVD herausstellte, im Grunde nur eine gekürzte Version des, wie ich finde, richtigen, passenden Endes war. Deshalb unbedingt auch noch das "Alternative Ende" auf der DVD anschauen!

"Die kommenden Tage" ist einer dieser wenigen, deutschen Filme, die es wirklich in sich haben und deshalb wohl auch kaum Beachtung fanden. Letztes Jahr lief er nur in ausgewählten ArtHouse-Kinos, weshalb er an der großen Masse völlig vorbei gegangen ist. Etwas mehr Öffentlichkeit für den Film hätte bestimmt auch so mancher realpolitischen Debatte gut getan.

Deshalb: DVD kaufen, ansehen, Gedanken machen. Es lohnt sich. 


10/10 Ornithologen