Es gibt Tage, da will dir rein gar nichts glücken. Dein Fuß findet den
Weg vom Bett zum Pantoffel nicht, sondern landet auf dem Rücken deines
geliebten Hundes, der dir vor Schreck nach dem Knöchel schnappt. Den
Kaffee gießt du dir vor Schreck an der Tasse vorbei - und natürlich
direkt auf das frisch gewaschene Hemd. Auf dem Weg zur Metro stellst du
fest, dass du Papiere und Geld zu Hause vergessen hast, und als du
kehrtmachst, wird dir klar, dass du die Sachen nicht vergessen, sondern
verloren hast. Zusammen mit den Schlüsseln.
Aber auch das Gegenteil kommt vor. Du wachst munter und mit angenehmen Erinnerungen an einen Traum auf, der gestrige Schnupfen hat sich über Nacht spurlos verflüchtigt, es gelingt dir, weich gekochte Eier zu fabrizieren, deine Freundin, mit der du dich am Vortag überworfen hast, ruft von sich aus an und bittet dich um Verzeihung, Oberleitungs- und Autobus kommen, kaum dass du die Haltestelle erreicht hast, dein Chef ruft dich zu sich und teilt dir mit, er habe beschlossen, dir eine Gehaltserhöhung zu gewähren und dir eine Prämie auszuzählen.
Solche Tage jagen mir mehr Angst ein. Denn das wusste man bereits in der Antike: Man darf das Schicksal nicht durch übermäßigen Erfolg ergrimmen. Der Herrscher Polykrates hat sich schon etwas dabei gedacht, als er den Ring ins Meer warf. Als die See dieses Opfer verschmähte, hätte sich der König freilich den Finger abschneiden müssen, womöglich wäre er ihm nicht nachgewachsen. Solltest du kein Glückspilz sein, der mit dem leichten Schritt eines Flaneues durchs Leben geht, dann hüte dich vor Glücklichen Tagen!
Aber auch das Gegenteil kommt vor. Du wachst munter und mit angenehmen Erinnerungen an einen Traum auf, der gestrige Schnupfen hat sich über Nacht spurlos verflüchtigt, es gelingt dir, weich gekochte Eier zu fabrizieren, deine Freundin, mit der du dich am Vortag überworfen hast, ruft von sich aus an und bittet dich um Verzeihung, Oberleitungs- und Autobus kommen, kaum dass du die Haltestelle erreicht hast, dein Chef ruft dich zu sich und teilt dir mit, er habe beschlossen, dir eine Gehaltserhöhung zu gewähren und dir eine Prämie auszuzählen.
Solche Tage jagen mir mehr Angst ein. Denn das wusste man bereits in der Antike: Man darf das Schicksal nicht durch übermäßigen Erfolg ergrimmen. Der Herrscher Polykrates hat sich schon etwas dabei gedacht, als er den Ring ins Meer warf. Als die See dieses Opfer verschmähte, hätte sich der König freilich den Finger abschneiden müssen, womöglich wäre er ihm nicht nachgewachsen. Solltest du kein Glückspilz sein, der mit dem leichten Schritt eines Flaneues durchs Leben geht, dann hüte dich vor Glücklichen Tagen!
('Weltengänger', Kapitel 1, S. 5-6)
Hätte
sich Kirill - Macho, Bürger Moskaus und langweiliger Büroangestellter
mit narzistischen Zügen - sich seine ersten Gedanken doch nur zu Herzen
genommen! Denn als Kirill eines Abneds nach Hause kommt ist nicht nur
seine Wohnung völlig umgeräumt und neu eingerichtet, nein, es wohnt auch
noch eine Frau in seinen vier Wänden, die behauptet schon seit Jahren
hier zu wohnen. Damit nicht genug; Freunde, Bekannte, Eltern,
Arbeitsgeber fangen an ihn zu vergessen und auch seine Papiere zerfallen
oder ordnen sich der neuen Wohnungsbesitzerin unter. In seiner
Verzweiflung über sein 'verblassen' in der Realität wendet sich Kirill
an seinen Freund Kotja - der ist Hobbyliterat und schreibt Porno- und
Horrorgeschichten für Klatschzeitungen. Kotja kann ihm zwar nicht groß
helfen, doch meldet sich eines Abends eine Stimme an seinem Handy, die
Kirill zu einem Wasserturm lotst. Dieser entpuppt sich als Zollstation
in andere Welten. Es wird ihm erklärt er sei aus seinem Leben gefallen
und zu einem Funktional, einem Meister einer Klasse geworden. Die
Funktionale sind nahezu untersterblich und an ihre Funktion - also ihre
Arbeit - gebunden und können sich nur 15 Kilometer von ihrer Funktion -
in Kirills Fall; der Wasserturm - entfernen. Bald wird er von einer
Kommission der Funktionale besucht, die ihm das alles eintrichtern.
Unter ihnen der menschliche Politiker Dima, der Kirill bittet ihm dabei
zu helfen eine 'neue, nationale Idee' für das moderne Russland zu
finden. Dieser hofft dabei, dass Kirill es schafft ein Tor in die Welt
Arkan zu öffnen, die der Erde um 30 Jahre vorraus sein soll. Denn Stalin
soll den letzten Zugang zu Arkan zerstört haben nachdem er durch ihn
vom Untergang der Sowjetunion erfuhr. Kirill nimmt sein neues Leben sehr
schnell an, doch nach dem sich mysteriöse Vorfälle häufen fängt er an
am ach so durchdachten System der Funktionale zu zweifeln. Wer sind die
Funktionale überhaupt? Was wollen sie? Warum gibt es Menschen, die gegen
sie sind und was hat Kirill eigentlich damit zutun?
Fragen, auf
die Sergej Lukianenko nur bedingt Antworten findet, denn 'Weltengänger'
ist der erste Part eines Zweiteilers, der im Juli '08 mit
'Weltenträumer' fortgesetzt wurde. Deshalb sei hier schon mal soviel
über das Ende gesagt: Es fühlt sich an wie die Werbeunterbrechung an der
spannensten Stelle des Films! Wie passend in diesem Fall, den
'Weltengänger' ist, ähnlich wie Lukianenkos 'Wächter'-Zyklus, keine
handelsübliche Phantastik um die Dynamik von Paralellwelten.
'Weltengänger' ist viel mehr Gesellschaftskritik und bitter-bissige
Satire auf den Idealismus. Zudem tritt Sergej Lukianenko in Form der
Figur Dimitri Melnikow in Kapitel 3 selbst im Buch auf. Denn der gute
Dimitri schreibt nicht nur schon seit 20 Jahren Fantasy- und
Sci-Fi-Literatur, sondern ähnelt dem realen Lukianeko auch äußerlich
frapierend. Eines der, für mich als Lukianenkofan, schönsten Kapitel,
denn Lukianenko zitiert dort nicht nur fleißig Literaten und spielt
ständig auf sich selbst an, sondern bringt in Form von Melnikow wohl die
klarste und beste Aussage zu Fanatsyautoren hervor, die ich je lesen
durfte:
'Ich glaube nicht an diese dämlichen Außerirdischen, an diese
Götter und Helden, an geheime Gesetze des Universums, Leiden und
ähnlichen Mist! Und weder Welessow noch Dromow oder das Ehepaar
Inotschenko glaubt daran! Niemand tut das! Alle Fantasy- und
SF-Schriftsteller sind vernünftig denkende Menschen. Sie unterhalten
lediglich ihre Leserschaft. Gut ... sie übertragen Probleme unseres
Alltags in einen phantastischen Kontext, aber doch nur, damit die
Lektüre interessanter wird.'
('Weltengänger', Kapitel 3, S. 80)
Oder
wie Kirills Freund Kotja es so schön präzisiert: 'Dieser Schriftsteller
glaubt noch weniger an das Übernatürliche als Prostituierte an die
Liebe.'
Und so geht es rund 590 Seiten lang durch die zitatereiche
Welt des Sergej Lukianenko. So freut sich Kirill nachdem er Dimas
Auftrag erhalten hat zunächst auf Arkan, weil er dort dann endlich
herausfinden kann, ob Peter Jackson je den 'Hobbit' drehen und wann denn
endlich 'Fallout 3' erscheinen wird. Oder Szenen in denen auf herrliche
Weise das Fantasygenre durch den Kakao gezogen wird. Nachdem die ersten
Toten zu verzeichnen sind beschwert sich Kirill nähmlich darüber, dass
die Helden in Fantasyromanen sonst nie die Leichen ihrer Widersacher
wegräumen müssten und das jedes kleines Dorf in Mittelerde wohl einen
'Friedhof für Feinde des Helden' habe. Ebenso zahlreich die Anspielungen
auf 'Harry Potter'! Was habe ich gelacht! Nicht nur wegen öfter
vorkommender Wortspiele über Zauberstäbe, Zauberschulen und
Zauberjungen, nein, Lukianenko meint auch, dass doch jede Schule eine
Kammer des Schrecks im verliesartigen Keller habe und Rowling da absolut
nix Neues von sich gegeben habe. Das gleiche gilt für 'Star Wars',
'Herr der Ringe' und 'Die unendliche Geschichte'. Zitate über Zitate,
die in den meisten Fällen für herrliche Komik sorgen.
Richtig düster
und ernst wird es aber erst zum Schluss, denn dieser gestaltet sich
selbst für Lukianenkoverhältnisse sehr deprimierend. Während im
'Wächter'-Zyklus vorrangig um den 'richtigen Idealismus' gestritten und
gekämpft wird ist dieser hier von vorn herein festgelegt und vom System
durchgesetzt. Er prangert den Idealismus sogar an. In einem Streit mit
einem Rebellen, der das perfide System der Funktionale zerschlagen will,
meint Kirill schließlich, dass nichts menschlicher ist als andere
Menschen auszubeuten und, dass Idealismus immer im Tod endet. Generell
wird die Kehrseite vom 'Idealismus des Guten' gezeigt: Diejenigen, die
zunächst für die Freiheit kämpfen, unterdrücken, wenn sie denn einmal an
der Macht sind, dann jene die sie zuvor verteidigten. Was Lunkianenko
strikt anklagt ist eine traurige Wahrheit der Menschheitsgeschichte:
Wenn die Unterdrückten zu Herrschenden werden fangen diese im Rausch der
Macht an genauso rücksichtslos zu fungieren wie einst die Herrschenden.
Zum Schluss meint Kirill sogar, dass man einfach lernen müsse sich dem
System unterzuordnen, klar zu kommen, ohne ständig anzuecken und die
Herrscher zu erzürnen.
Da bleibt mir zum Schluss nur die Worte des Fernfahrers, der Kirill auf den letzten Seiten mitnimmt:
'Was
haben die Menschen nicht alles entwickelt - und was nützt ihnen das?
Hier führen sie Krieg, da liegen sie sich in den Haaren. Wir haben nur
eine Welt, und die können wir nicht teilen. Aber das Glück, das kannten
wir früher nicht und kennen es auch heute nicht ...'
('Weltengänger', Kapitel 24, S. 589)
In diesem Sinne grandiose
10/10 Funktionalen