"Sumerki" von Dmitry Glukhovsky



Als der neurotische und schwer unterbezahlte Übersetzer Dimitri ein mysteriöses Tagebuch eines spanisches Conquastdors übersetzen soll gerät dieser nicht nur immer stärker in den Bann seiner Lektüre, sondern schon bald begegnet er Mitten in Moskau Mayariten, Omen und Dämonen, die ihm scheinbar von der Übersetzung abhalten sollen. Ist Dmitry auf dem Weg in die Psychose oder steht tatsächlich das Ende der Welt bevor?


Sicherlich hat der Kinostart von Roland Emmerichs Weltuntergangsorgie "2012" den Heyne Verlag bei der Entscheidung, Glukhovskys thematisch ähnliches Buch in Deutsch zu veröffentlichen, beeinflusst, obwohl das bereits 2007 erschien und somit zu einer Zeit herauskam als sich Emmerich noch mit rastagelockten Urmenschen auf Mamutjagd beschäftigt hat. Wer also fürchtet, dass "Sumerki" ein ähnlicher Kabeng-Alles-Kaputt-mach-Schinken ist der hat sich glücklicher Weise geirrt.


"Sumerki" ist wie schon "Metro 2033" ein sehr ruhiges Buch, dass vor allem von seiner intensiven Atmosphäre lebt. Übersetzer Dimitri ist vom ersten Moment an ein absoluter Sympathieträger, was auch zwingend notwendig ist, denn 90 Prozent des Buches spielen tatsächlich in dessen Wohnung. Einem großen, moskauer Altbau in dem der Übersetzer des nachts bei Tee und UKW-Beschallung dahinvegetiert. Ohne Freunde. Ohne Familie. Nur mit dem Manusskript in der Hand, welches das Leben dieses egozentrischen Murmeltiers schlagartig aus den Fugen geraten lässt.


Der wahre Trick hinter dem Buch ist tatsächlich der dem Szenario fast schon unzumutbare Minimalismus, den Glukhovsky hier wagt. Keine großen Rettungsaktionen. Keine Metrorietenschauer. Keine Kriege und Flüchtlingswellen. Nur ein Linguistikpurist und dessen Altbauwohnung trennen die Welt des Seins und des Scheins. Von dieser rustikalen Murmeltierzentrale aus soll die Welt vor dem Amargeddon gerettet werden? Einem Roland Emmerich wäre etwas derart einfaches und zugleich großartiges wahrscheinlich in den nächsten 100 Jahren nicht eingefallen! Dabei spielt Glukhovsky gekonnt mit der Psyche des Protagonisten und des lesers zugleich und führt beide zu einer Auflösung, die herausragender nicht sein könnte und regelrecht zu einer ethnisch-theologischen Debatte provoziert. Ohne zu viel verraten zu wollen; Dimitri kommt Gott auf die Spur und der liegt dummer Weise im sterben. Diagnose: Hirntumor. Das Ende ist gerade deshalb unglaublich emotional, denn weder Gott noch Dimitri werden am Ende überleben. Die Welt geht zum Schluss allen Bemühungen zum trotz doch zu Grunde.


Nicht gerade hoffnungsvoll? Ganz im Gegenteil! Denn Glukhovsky schafft es auf den letzten 50 Seiten dem scheinbar verwirkten Leben des sterbenden Gottes und der mit ihm sterbenden Welt einen tieferen Sinn zu geben. Zum einen den Fakt, dass alles endlich ist; auch das Leben eines Gottes. Und zum anderen thematisiert er auf den letzten Seiten wie kaum zuvor die Angst vorm Sterben, die damit einhergehende Verbitterung, aber auch die Lebenslust, die den Tod begleiten kann in einer Weise wie ich sie zuvor noch nie erlebt habe. Zugegeben hat mich das Ende zu Tränen gerührt - um nicht zu sagen, dass ich für die letzten Seiten tagelang gebraucht habe, weil ich ständig angefangen habe wie ein kleines Kind zu heulen! (und dann einfach nicht mehr aufhören konnte!!!) Solche Emotionen hat bei mir noch nie ein Buch ausgelöst. Glukhovsky hingegen hat bei mir sozusagen den weichen Kern in der harten Schale getroffen. Da habe nicht mal ich meinen zynistisch-kaltschnäuzigen Blick auf die Welt behalten können. Und das will was heißen.

"Sumerki" ist für mich ein ganz besonderes Buch. Einfach auch weil Glukhovsky hinter der Endzeitgeschichte wie schon bei "Metro" eine viel tiefere Botschaft versteckt, die weit über die emmerische Zerstörungswut hinausreicht. Er erschafft hier ein raffiniertes Kammerspiel zwischen - ja, das darf man jetzt wörtlich nehmen - Gott und der Welt. Ein großartiges Buch, dass das Zeug zum Klassiker hat! Unbedingt lesen!


10/10 sterbenden Gottheiten