"Schillerndes Dunkel - Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene" von Alexander Nym



 

Da bin ich einmal außerwärts im Ruhrpott unterwegs und wenn man einmal da ist kann man ja auch die ansässigen Szeneläden nach interessanten Dingen durchforsten. Und da, plötzlich, völlig unvorhergesehen liegt es vor mir: "Schillerndes Dunkel - Geschichte, Entwicklung und Themen der Gothic-Szene"
Zugegeben bereits die Aufmachung des Buchs hat mir Tränen in die Augen getrieben. Und ihr wisst ja wie das mit den bibliophilen Persönlichkeiten ist; da gibt es Bücher zu denen kann man einfach nicht Nein sagen, auch wenn mir der Preis von 68€ erstmal einen kurzen Schock durch die Glieder jagte.

Ich habe diese literarische Großinvestition allerdings nicht ansatzweise bereut. Ich wage zu behaupten, dass es kaum ein vergleichbares werk über Gothic-Szene gibt, obwohl über die von Angehörigen und Außenstehenden schon viel geschrieben wurde. Insbesondere in den Jahren nach den Mansonmorden und der in den 80ern grassierenden "Satanic Panic" als der "Grufti" oft und gerne von christlichen Institutionen als Satanist und Okkultist dargestellt wurde. Wobei Satanismus, Okkultismus und die romantische Dunkelheit des Gothics führwahr nicht gleichzusetzen und zu verwechseln sind.



"Schillerndes Dunkel" ist im Grunde eine Essay- und Interviewsammlung von alteingessenen Szenegrößen mit Beiträgen von Oswald Henke (Goethes Erben), Cornelius Bach (Gründer und Sprecher des Wave-Gothic-Treffens in Leipzig), Thomas Thyssen (GOTHIC-Magazine) , DJ Zwischenfall u.a. die vor allem davon lebt, dass Szenegänger aus der Szene erzählen wie auch ich sie lange Zeit erlebt habe: politisch neutral, pazifistisch und vor allem als ein gewaltiges kulturelles Ballungszentrum für all die guten, alten, schwarzen Klassiker, die weit über Szene hinaus strahlten. Seien es nun die zahlreichen Verarbeitungen und Erweiterungen von H.P. Lovecrafts "Chuthulu"-Mythos in Musik und Schrift, die Einflüsse von Edgar Allen Poe, Goethe, Schiller und anderen in der Popkultur eher verpönten Kulturgestalten. Es wird die Entstehung der ersten Goths Ende der 70er aus den übrig gebliebenden Teilen des Punks (als die Sex Pistols schon wieder out waren, aber die zweite Punkphase der 80er noch nicht abzusehen war) entstanden und von den Punks in Aussehen und Musik nur in Details zu unterscheiden waren, über die erste große Welle in den 80ern in denen herumlungernte Gruftis den herumlungernten Punks im Straßenbild arge Konkurrenz machte und der normale Spiesbürger es mit der Angst zutun bekam, weil die Kinder so draußen herumliefen. Dabei wird auch ein kurzer Blick in die Szene während der SED-Diktatur in Ostdeutschland geworfen, die dort mit noch erheblicheren Repressionen (besonders von Seiten des DDR-Staates, da es für die SED nichts Subversiveres gab als Punks und Gruftis) zu kämpfen hatte als im Westen des Landes. 

Ein großer Teil des Buches widmet sich dabei dem "rechten Rand" der Gothszene, der eigentlich keiner ist, aber über die Medien gern so genannt wird. Gemeint ist damit die Verwendung faschistioider und nazionalsozialistischer Symboliken bei Auftritten. Insbesondere bei den Auftritten von Leihbach und dem Künstlerkollektiv NSK (Neue Slowenische Kunst), Rammstein (die sich offenkundig bei Leibach inspirierten), Death In June, Shadow Reichenstein oder Marylin Manson, um nur einige zu nennen. Insbesondere Leihbach und Death In June stehen dabei im Mittelpunkt der Diskussion. Insbesondere DIJ, die nach ihrem Auftritten beim WGT im Jahr 2000 gewisse unschöne Paralellen zu den alljährlichen Naziaufmärschen in Leipzig aufkommen ließen, weil deren Fans in marzialischen Militärlook durch die Heimstadt der ostdeutschen Gothszene zogen. 


Ein weiterer Hauptaspekt liegt auf der zunehmenden Verflechtung zwischen der Schwarzen und der SM/Fetisch-Szene. Die fand überwiegend Ende der 80er und besonders in der zweiten Goth-Hochphase in den 90ern statt, die zu einer zerstörerischen Kommerzialisierung und solchen Auswüchsen wie Cybergoth führten. Letzteres bildet auch eines der Themen zum Ende des Buches. Als jemand der in den 90ern aufgewachsen ist und erst viel später mit den Ursprüngen der Szene in Kontakt gekommen ist war dies auch der Abschnitt der mir am stärksten aus der Seele sprach. Denn einer Gründe warum ich der Szene mit Verstand den Rücken gekehrt habe - führwahr ein Teil meines Herzes ist immer noch unwiderruflich Grufti - war, dass alles immer oberfläschlicher wurde und sich kaum noch jemand für die philosophischen Hintergründe der Schwarzen Szene zu interessieren schien. Obendrein gestalteten sich Diskussionen um Genres immer schwieriger, weil die Musik durch die Komerziallisierung immer stärker in den Hintergrund rückte. Paradox in einer Szene, die sich von Anfang an durch Musik definierte und erst danach durch Kleidung. Was damit zutun hatte, dass von den Medien bis heute alles als Goth vermarktet wird, was auch nur annährend düster aussieht. Nur so konnte es geschehen, dass ein Schlagerbubi wie "Der Graf" von Unheilig als Gothic gesehen wurde. Zugegeben, die echten Gothics der 80er haben, wenn sie einen Begriff wie "Schwarzer Schlager" hören, das unheimlige Bedürfniss jemanden wie den Graf (Der Graf! Wer ist denn bitte der Graf!!!) auf dem nächsten Friedhof zu pflöcken - so wie man das mit Kreaturen der Nacht nun mal macht.

Insgesamt ist das Buch wunderbar unterhaltsam geschrieben. Von einigen beiträgen abgesehen wie etwas dem von Cornelius Bach über das WTG wo sich der gute Mann hauptsächlich selbst beweihräuchert, aber soetwas lässt sich kaum vermeiden, wenn die Szene über die Szene schreibt. Wesentlich lustiger ist dabei das Kapitel über die Entstehung des EQUINOXX-Festivals, die eher einem Drehbuch zu einem schwarzhumorigen Komikdrama ähnelt und dabei nicht nur vom unterschwelligen Rassismuss gegen die Szene erzählt auf die die jungen Goths damals trafen, sondern auch von nicht erschienenden Bands, weil sich die Mitglieder in der Kneipe gegenüber bereits unter den Tisch gesoffen hatten und anderen aus der Distanz gesehenen verdammt komischen Situationen.


Worauf das Buch jedoch keinen Bezug nimmt sind etwa Themen wie die Masonmorde oder Satanismus. Es wird stets darauf verwiesen, dass andere Autoren damit ja schon ganze Bücher gefüllt haben - womit Herausgeber Alexander Nym ja auch wieder Recht hat.

Auch ist das Buch gefüllt von großartigen Bildern aus der Szene, die man so nur schwerlich finden kann. Von wundersamen Fotografien der Szenegrafiker, die provokanten Leihbach-Fotomontagen und natürlich auch sehr viele Fotos von Zeitzeugen.


Insgesamt also ein gewaltiges, hervorragend recherchiertes Szenebuch bei dem sogar ich noch was gelernt habe. Für Gruftis genauso geeignet wie für Interessierte und Szeneeinsteiger.


10/10 schwarzromantischer Visionen



Nachtrag: Mittlerweile kostet das Buch nur noch rund 20 Euro.