Die "Harry Potter"-Saga von J.K. Rowling


 
Sicherlich wurde schon viel über J.K. Rowling und ihre „Harry Potter“-Romane geschrieben, geredet, gefilmt und gehört.

Das dabei die Geschichte der Autorin J.K. Rowling fast legendärer und von Mythen umrankter ist als ihre Bücher verwundert nicht in Anbetracht der Tatsache, dass diese zierlich wirkende Frau es schaffte das Märchen des Tellerwäschers, der zum Millionär wurde ausgerechnet auf dem von Hunger geplagten Gebiet der Schriftsteller zu verwirklichen. Die Geschichte von der Sozialhilfeempfängerin, die einen Bestseller schrieb und Literatur auch für junge Menschen endlich wieder attraktiv machte. Eine Fata Morgana? Ein fieser PR-Gag? Allen ihren Kritikern zum trotz, die ihr diesen Sieg von Anfang an nicht gönnten und deshalb taten, was alle Neider gern tun – das Objekt der Begierde als Lügner und Betrüger denunzieren – und nicht wahrhaben wollten, dass ausgerechnet ein olles Fantasybuch dem Buch der Bücher den Platz 1 auf der Liste der Top-selling-Books-ever streitig machte. (Das Buch der Bücher? Als Tolkienfan würde ich jetzt natürlich mit der geballten Macht meiner Orkhorden im Rücken „Lord of the Rings“ schreien, aber ich fürchte es ist dennoch nur die Bibel.)

Der Rest der ominösen Geschichte geht bis heute fast schon zur Urban Legend mutiert durch die Medien: Weltweiter Erfolg mit bis zu 300 Millionen verkauften Exemplaren. Mitternächtliche Buchveröffentlichungen, die von Geheimhaltungsstatus und Massenhype eher einer Alienlandung in Hollywood gleichkamen. Ähnliche tumultartige Szenerie bei den doch recht schnell folgenden Verfilmungen (ich kritisierte weiter hinten im Blog schon kräftig) und einer vor allem in England und den USA tatkräftigen Fangemeinde, die ihresgleichen sucht – und dafür auch gern mal verklagt wird.
Doch hier soll es nicht um die Massenhysterie gehen oder den „J.K. Rowling“-Mythos, sondern darum worum es in „Harry Potter“ wirklich geht. Zu viel wird meiner Meinung nach die Reihe als „Vergnügen für die ganze Familie“ beworben, denn wenn „Harry Potter“ eines nicht ist, dann ein Kinderspaß. Nicht weil, wie es christliche Fundamentalisten a la Gabriele Kuby und Joseph Ratzinger alias Papst Benedikt XVI. zu gern und mit unaufhörlicher Genüsslichkeit behaupten, dass hier okkulte Rituale gefeiert werden, die Kinder dazu bringen ihre Kuscheltiere in sadistischen Ritualen zu opfern – obwohl man das natürlich nie ausschließen kann –, sondern weil „Harry Potter“ für mich auf einer Stufe mit George Orwells „1984“ steht. Derart dystopisch war eine Jugendbuchreihe sicher selten zuvor.

Denn ähnlich wie es in „Star Wars“ nicht um Raumschiffe geht, ebensowenig geht es in „Harry Potter“ um Zauberei. Doch alles schön der Reihe nach.



Worum geht es in „Harry Potter“? Zugegeben, in Sachen Epik steht die Hintergrundgeschichte einem Tolkien in nichts nach, nicht zuletzt wohl auch deshalb weil sich Rowling sehr offen zu den großen Klassikern der Fantasy, des Horrors und des Gesellschaftsromans in ihren Büchern bekennt. Seien es nun Seitenhiebe auf den „Herr der Ringe“, „Star Wars“, Edgar Allen Poe, Jane Austen oder George Orwell.

Müsste ich die Handlung von „Harry Potter“ in einem Satz zusammenfassen würde sie wohl lauten: Misshandelter Waisenjunge, der seine Eltern durch brutalen Doppelmord eines wahnsinnigen Neo-Faschisten verlor folgt den Spuren seiner Vergangenheit, um die Zukunft zu ändern.

Und das ganze 7 Bände lang, die fast so als habe die Autorin geradezu die Schreibwütigkeit gepackt immer fetter und fetter werden. Wem jetzt das Wort „Endlosserie“ auf der Zunge liegt sei entwarnt. „Harry Potter“ ist im Gegensatz zu den  ja ach so schnuckeligen Vampirfetzen, die zur Zeit sämtliche Bücherregale in den Buchhandlungen entstellen und verstopfen, ein Werk mit Biss. (Tja, dieses Wortspiel musste jetzt sein! xD) Und vor allem mit einer vielschichtigen und komplex verschlungenen Handlung, die sich tatsächlich nahtlos in alle sieben Bände einfügt.

Dabei beginnt der Serienauftakt „Harry Potter und der Stein der Weisen“ – tatsächlich noch als Kinderbuch konzipiert – vergleichsweise harmlos. Hauptfigur Harry – ein von seinen Adoptiveltern misshandelter, magerer, nicht unbedingt attraktiver Junge, den die Autorin zudem die wohl uncoolsten Klamotten verpasste, die sich Anno 1991 auftreiben ließen – , muss feststellen, dass er nicht ein Magier ist, sondern aufgrund der Tatsache, dass er auf unerklärliche Weise als Baby den finstersten Finsterling den die Welt bis dato kannte, den Schwarzmagier Lord Voldemort, besiegt hat zu eher ungewollter Berühmtheit gelangt ist. Er wird von dem Riesen Hagrid von seinen schlagenden Adoptiveltern nach Hogwarts gebracht und muss sich dort schon bald nicht nur gegen pöbelnde Mitschüler, sondern auch das Böse behaupten.

Hogwarts als Schule für Magier ist angelehnt an die großen, britischen Privatschulen und deren Internatsstrukturen. Deshalb geht es dort auch, mancher mag sagen „recht antiquiert“ zu. Und prinzipiell ist vieles Retro im Potterverse. Angelehnt an die klassischen Volksmärchen scheint der Leser sich in der Welt der Magier auch in der Zeit um mindestens 200 Jahre zurückversetzt zu haben.
Bei Rowling verschmelzen die volkstümlichen, europäischen Hexendarstellung so schnell mit moderner Urban Fantasy. Zwischen all den phantastischen Wesen schlummert jedoch ein düsterer Internatskrimi, der bereits nach einigen Bänden zur finsteren und bitterbösen Polit- und Gesellschaftssatire mutiert. Da gibt es dann nicht nur intrigante und böse Zauberer, Monster hau mass, sondern auch Klassenkämpfe, Rassenideologien und natürlich den ganz normalen Wahnsinn der Pubertät.

Doch genau diese Extremmischung ist der Quo der Serie. „Harry Potter“ ist eines der wenigen Bücher, die kulturelle Unterschiede, Alter, Entstehungsepoche und sozialen Background hinter sich lassen und zu einem universellen, die Menschen verbindenden Werk wird. So wie schon einst „The Lord of the Rings“, „Star Wars“ oder „Avatar“.

Trotz der vielen satirischen und karikierten Noten (auf die ich noch genauer zu sprechen komme) ist das Grundthema der Bücher ein Tiefschwarzes: es geht um Klassenkämpfe, Rassismus, Machtintrigen, totalitäre Strukturen und darum wie die Liebe den alles verzehrenden Hass vernichtet.

Auch wenn es so mancher Berufsoptimist nicht wahr haben möchte ist Klassenkampf bis heute ein gesellschaftliches Fass, dass ständig überzulaufen droht. Besonders im multikulturellen Großbritannien. So sieht man sich in „Harry Potter“ schnell einer herrschenden, ultrarechten, eindeutig von den Rassenideologien der Kolonialherren und des Nationalsozialismus inspirierten, aristokratischen Oberklasse gegenüber, die kontinuierlich mit dem Klassenfeind; dem scheinbar ungebildeten, teils ärmlichen Proletariat im Klinsch steht. Beide Parteien werden dabei von dem großen Protagonist (Harry als Inbegriff eines Proletariers ohne übermäßig viel Bildung, dafür aber mit viel Mut und manchmal etwas unangebrachten Aktionismus) und den großen Antagonist (Lord Voldemort als Magier gewordene Karikatur der großen Faschistenführer des 20. Jahrhunderts: Stalin, Hitler, Mossulini und Franko in einer Person.) verkörpert. So bekommt der vermeintlich simple Kampf Gut gegen Böse einen gesellschaftskritischen Touch, den Hasser von Analogien sicherlich verfluchen mögen. Dennoch ist dieser Klassenkonflikt der Dreh- und Angelpunkt der Serie, der in jedem Band kontinuierlich auftaucht und immer weiter mit Schrecken gefüllt wird bis das Fass im letzten Teil buchstäblich auseinanderberstet, weil es dem Druck nicht mehr standhält. Ein blutiger Bürgerkrieg zwischen Aristokratie und Proletariat entbrennt.

Bis es jedoch soweit ist muss sich Harry mit seinen Schulfreunden Ron und Hermine in den Mauern von Hogwarts der Banalität des Bösen stellen. Und die ist Facettenreich und lauert für gewöhnlich immer dort, wo man sie am wenigsten vermutet.....
Die große Stärke ist dabei die Art wie Rowling die verschiedenen Erzählstränge miteinander verknüpft. Da bekommen scheinbar unwichtige Details aus früheren Bänden schließlich enorme Bedeutung oder bringen den gesamten Kontext schließlich in ein völlig anderes Licht.
Freunde werden zu Feinden. Scheinbar absolut offensichtliche Finsterlinge zu den engsten Verbündeten des Helden.
So zum Beispiel als sich Harrys Mentor, der weise, nahezu gottgleiche Hexenmeister Albus Dumbledore am Ende als finsterer Manipulator und Misantroph entpuppt, der in seinen Mitmenschen nur Mittel zum Zweck sieht.
Zwar ist Rowlings Schribstil nicht der stilistisch abwechslungsreichste, dennoch versteht sie es wie kaum eine andere Autorin mit blumiger Satire und gewalttätiger, irrwitziger Action den Nagel auf den Kopf zu treffen. Nicht nur die Figuren sind da absichtlich karikiert, sondern sie boykottieren regelrecht die britische Bigotterie.

Da gibt es den etwas dumpfen, aber treuen besten Freund, die nervige Streberin, den Loser und den persönlichen Intimfeind und seine Clique an hirnlosen Menschenaffen – die eigentlich eine Beleidigung für jeden Affen wären. Den typischen Bad-Teacher, dessen schönstes Hobby es offenbar ist all seine Schüler in den Wahnsinn zu treiben, sowie unter krankhafter Paranoia leidende Cowboys und charmante Maulhelden. Stereotypen wird jetzt sicher jemand schreien und damit hätte er sogar recht. Rowlings Figuren sind klare Karikaturen, die mit voller Absicht auf den ersten Blick vor Klischees triefen. Allerdings schafft es die Autorin diese Figuren nicht lächerlich werden zu lassen, sondern füllt ihre Schablonen nach und nach mit herrlich schrulligen Macken, unausstehlichen Angewohnheiten und der einen oder anderen Zwangsneurose. Sprich; sie macht sie menschlich.

Aller Satire zum Trotz ist und bleibt „Harry Potter“ eine finstere Dystopie und Parabel auf das von gewalttätigen Faschismus und religiös anmutenden Ideologien geprägten 20. Jahrhundert. Ausstaffiert mit einem Überwachungsstaat der Orwells Ozeanien arge Konkurrenz macht. Zumal die Reihe auf bedrückend reale Art beschreibt wie aus einer freiheitsliebenden Demokratie ein totalitärer Polizeistaat wird, wenn Angst und Hass in den Köpfen der Menschen die Oberhand gewinnen. Und genau das ist die große Botschaft der Bücher: Es geht um Menschen, die alle einmal eigentlich ganz wunderbare Leute waren, die jedoch vom Hass verzehrt wurden wie Darth Vader von der Dunklen Seite der Macht. Und tatsächlich ist diese starwarsianische Ähnlichkeit gewollt. Denn wie schon bei George Lucas geht es auch bei Rowling um die großen Fragen des Lebens. Woher komme ich? Wo ist mein Platz in der Welt? Was ist DAS Böse?
Letztere Frage wird im letzten Band der Serie, „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“ tatsächlich reichlich grau beantwortet. Denn gerade dieser Teil löst die Trennung von Gut in Böse regelrecht in Rauch auf und offenbart eine düstere Erkenntnis: Was Böse ist und was nicht entscheidet nicht die Moral, sondern die Politik.

Die extreme Kehrtwende des Finales hat so manchen Potterianer dabei an den Rande eines Nervenzusammenbruches gebracht, da viele offensichtliche Feinbilder, ethnisch-moralische Handlungen der Figuren und sogar der Hauptprotagonist Harry Potter danach in einem völlig neuem Licht dastanden. Wenn „Harry Potter“ also eine zentrale Aussage besitzt, dann: „Die Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben“. Wie es am Ende auch kommt. Dabei gerät dann auch gern mal in Vergessenheit, dass die wahre Hauptfigur nicht Harry Potter, sondern Severus Snape heißt. Denn ausgerechnet der grantige Lehrer und potentieller Helfer Voldemorts entpuppt sich zum Ende der Saga als von Rache getriebener Antiheld, der mit Voldemort und Dumbledore gleichermaßen einen geradezu faustischen Pakt mit den Teufel eingegangen ist. Und ähnlich wie in „The Imaginarium of Dr. Parnassus“ von Terry Gilliam denkt sich das teufliche Paar immer wieder neue Bedingungen und Betrügereien aus, um den Pakt aufrecht zu erhalten und schließlich die Seele ihres Opfers zu kassieren. Der große Clou an diesem Pakt und somit der Figur Severus Snape ist jedoch, dass es dieser am Ende tatsächlich schafft den Teufel zu überlisten und seine Seele zu behalten, auch wenn dies seinen, eigenen Tod bedeutet. Obendrein überführt er vor den Augen Harrys alle beide Kontrahenten ihrer schmutzigen Tricks.

Trotz aller Offenbarungen und Siege ist das potentielle Happy End keines. Denn im triefend kitschigen Epilog des 7. Bandes wird klar, dass der Sieg über Voldemort keiner war. Aller Schlachten zum Trotz geht der Klassenkampf unterschwellig weiter, angetrieben von einer Gesellschaft, die den Frieden nur im Gedanken wünscht und deren Leben und Schaffen dem Krieg gilt.

Somit ist „Harry Potter“ für mich nicht nur ein großes popkultureles Werk, dass irgendwie gerade Mode scheint – zusammen mit diversen jammernden Emovampiren aus der Feder von Stephanie Meyer & Co.KG –, sondern ein Werk mit gesellschaftspolitischer Brisanz und mehr als dunklen philosophioshen Grundtönen, die zum Nachdenken über unsere gegenwärtige Gesellschaftsordnung anregen.

Attention! The Big Wizard is watching you!